4. Dezember 2024

Godzilla in love

Von unserer Autorin Sabine

Karl-Heinz blinkte links, fädelte auf die B 10 ein und gab Gas. Er mochte es, wenn die anderen Autofahrer bei seinem Anblick – oder zumindest beim Anblick seines Streifenwagens – respektvoll Abstand hielten. Er fasste die Mütze am Schirm und pfefferte sie auf den Rücksitz, damit sie der Uniformjacke Gesellschaft leisten konnte.

Freddy runzelte die Stirn. »Morgen früh musst du die Jacke wieder aufbügeln. Denk dran: Du bügelst selbst.«

»Was geht’s dich an? Ich mag die verdammte Kluft nach Feierabend nicht mehr tragen. Und heute schon gar nicht.«

Freddy zog seine Mütze am Schirm nach vorne über die Augen und ließ sich in den Sitz sinken. Er lächelte verträumt. »Ich bin auch froh, wenn ich mit einem Bier zuhause vor der Glotze sitze. Und danach ein schönes Nümmerchen mit Angie. Darf ich das Radio anschalten?«

»Aber nicht diese Hitparadensch…«

Der Lautsprecher knackte. ›Wagen 21, wie ist Ihre Position?‹

Karl-Heinz kniff die Augen zusammen. »Verdammt. Ich stell mich einfach tot. «

›Wagen 21, wie ist Ihre Position?‹

Zögerlich setzte Freddy seine Mütze zurecht und richtete sich auf. »Wenn ich rangehe, killst du mich. Wenn ich’s nicht tue, killt mich Erna.« Er wartete auf Karl-Heinz’ Einlenken, aber der schwieg beharrlich.

›Wagen 21, wie ist Ihre Position?‹

Freddy schüttelte den Kopf, griff nach dem Funkgerät und drückte die Sprechtaste. »Hallo Erna? Wagen 21, 234, wir sind auf der B 10 auf dem Weg in den goldenen Feierabend.«

»Tut mir leid für dich, Freddy.«

Karl-Heinz’ Gesicht verdunkelte sich. Erna wusste genau, dass Karl-Heinz mit im Wagen saß, sie ließ ihn in boshafter Absicht außen vor, die blöde Kuh! Die konnte ihn nicht leiden. Niemand konnte ihn leiden. Außer Freddy. Vielleicht nicht mal der.

›Ich hab noch einen kleinen Einsatz für euch.‹

Ach, wenn es um’s Arbeiten ging, hieß es plötzlich wieder ›für euch‹, da war Karl-Heinz wieder mit im Boot.

»Okay. Code?«

›Kein Code. Freilaufende Tiere in Höhe von Münchweiler.‹

Karl-Heinz plärrte ins Gespräch. »Ein Hund?« Er hasste die blöden Kläffer.

›Ein Zeuge sagt aus, er habe was über die Straße laufen sehen.‹

»Das waren Rehe, hundert Pro. Oder ein Fuchs. Soll ich jetzt den Wald entvölkern oder was?«

Erna seufzte. ›Seht bitte einfach mal nach. Dauert doch nicht lang.‹

Bevor Karl-Heinz die Möglichkeit hatte zu widersprechen, ergriff Freddy das Wort. »Geht in Ordnung, Süße. Dafür kriege ich morgen ein Extra-Croissant.« Mit einem Schmunzeln ließ er die Sprechtaste los.

Karl-Heinz hätte auch ein Croissant genommen, aber ihn fragten sie nicht mal.

Aufmerksam ließ Freddy den Blick über die Fahrbahn und die Seitenbankette gleiten. »Vielleicht kann ich irgendwo eine Bewegung entdecken oder ein paar aufleuchtende Augen.«

»Ja sicher. Schau lieber mal in die Höhe. Vielleicht taucht Godzilla auf.«

Freddy lächelte höflich.

Karl-Heinz behielt die Aufmerksamkeit auf der Fahrbahn. Womöglich tauchte das Vieh mitten auf der Straße im Scheinwerferlicht auf. Oder es hatte bereits Bekanntschaft mit einem Lkw gemacht und zierte den Asphalt. Er hatte Mühe, die Augen offenzuhalten. Zehn Stunden Dienst und ein idiotischer Einsatz nach dem anderen. Eine Oma, die beklaut worden war. Eine Teenie mit einer Dose Red Bull im Rucksack. »Ich wollte die noch bezahlen, ehrlich.« Ein lautstarker Nachbarschaftsstreit. »Nehmen Sie den Idioten fest, der wollte mich mit dem Spaten erschlagen.« Fast wünschte sich Karl-Heinz, dass er diesem Wunsch nachgekommen wäre. Die Vision seines Kollegen von einem Bier und der Glotze kam ihm wieder in den Sinn. Mit Nümmerchen war nichts, seit Hilde das Weite gesucht hatte. Geschah ihr recht. Er verspürte einen schmerzhaften Stich im Herzen. Er wusste nicht mal, wo sie jetzt wohnte.

»Da!«

Karl-Heinz schrak zusammen und unterdrückte den Impuls, in die Bremse zu hauen. »Verflucht, Freddy, ich krieg noch einen Herzinfarkt.« Er blinkte, sah in den Rückspiegel, bremste vorsichtig ab und rollte auf die Bankette. Die Reifen knirschten im Sand, holperten über ein paar Grasbüschel und kamen im Schatten der angrenzenden Bäume in vollkommenem Dunkel zum Stehen. »Hol die Taschenlampe raus, Alter.« Der Gedanke an Godzilla ließ Karl-Heinz nicht mehr los. Sicherheitshalber senkte er den Kopf und suchte durch die Frontscheibe die Baumwipfel ab. Was Übermüdung so alles anrichtete. Er sah in den Seitenspiegel und öffnete seufzend die Fahrertür. Autos rauschten dicht an ihm vorbei.

Freddy auf der anderen Seite schaltete die Taschenlampe ein und strich mit dem Lichtstrahl über das Gebüsch. »Ich könnte schwören, da war was.« Die Blätter raschelten, Zweige knackten. Etwas Helles schimmerte und war im gleichen Moment wieder verschwunden. »Wusste ich es doch.« Er rannte los, Karl-Heinz hinterher. Sie blieben in Brombeerzweigen hängen, kämpften sich durch das Gestrüpp und sahen gerade noch ein mittelgroßes, weißes Hinterteil zwischen den Bäumen verschwunden. »Sag ich doch, ein Scheiß-Köter. Den kriegen wir sowieso nicht.« Karl-Heinz’ Atem rasselte.

»Du musst endlich mal wieder am Sportprogramm teilnehmen, sonst fliegst du noch. Du warst nicht mehr dabei, seit Hilde … Los, weiter.« Freddy blieb mitten im Lauf an einer Wurzel hängen und legte sich mit einem dumpfen Geräusch auf dem Waldboden ab. Er stöhnte. »Ich glaub, ich hab den Fuß übertreten. Lauf du weiter!«

Karl-Heinz lehnte sich an einen Baum und röchelte. »Nö!«

»Reiß dich zusammen, Mensch. Ich muss morgen Berichte schreiben. Fang den verdammten Godzilla ein und dann ab nach Hause.«

Der Begriff ›nach Hause‹ setzte in Karl-Heinz ungeahnte Kräfte frei, er setzte sich in Bewegung, sprang – leichtfüßig wäre übertrieben gewesen – über Totholz, duckte sich unter herabhängenden Zweigen. Rambo hätte seine helle Freude gehabt. Da vorne war es, huschte durchs Unterholz wie eine Elfe. Nein, es waren drei Elfen. Drei – weiße Ziegen, deren Fell im Mondlicht schimmerte. Sie waren stehengeblieben, warum auch immer. Er näherte sich, versuchte, das Keuchen zu unterdrücken, breitete die Arme aus, um sie am seitlichen Ausbrechen zu hindern. Hilfe wäre jetzt angebracht. »Freddy!« Doch der ließ nichts von sich hören.

Zwei der Ziegen drückten sich an einen Zaun. Der größte war   ein Bock. Er kam ihm drei Schritte entgegen, stampfte mit dem Huf auf und startete Scheinangriffe.

Karl-Heinz lächelte verächtlich. »So, du Mistvieh. Kleiner Ausflug mit den Mädels, was? Denkst du allen Ernstes, du könntest es mit einem Zweieinhalb-Zentner-Mann aufnehmen? Das wollen wir doch …«

Das Tier gab Gas und rammte Karl-Heinz knapp unterhalb seiner empfindlichsten Teile. Er konnte nicht mal mehr schreien, strauchelte und stürzte wie eine gefällte Eiche rückwärts in einen Graben.

Als er die Augen aufschlug, stand Godzilla über ihm. Das Vieh öffnete das Maul und streckte die Zunge vor. »Määäääääää.« Als ob er ihn verspotten wollte. Kleine Speicheltropfen spritzten Karl-Heinz ins Gesicht. Wenn Freddy das zu sehen bekam, wäre er morgen das Tagesgespräch. Er wollte wutentbrannt hochfahren. Siegesgewiss stellte das Mistvieh einen Huf auf seiner Brust ab, legte sein ganzes Ziegenbockgewicht darauf ab und knabberte genüsslich an seinem Hemdkragen.

»Freeeeeeeeeeddyyyyyyyyy!«

Endlich humpelte Freddy herbei und betrachtete amüsiert die Szene. »Hey.« Er ging in die Hocke, riss ein paar Kräuter ab und streckte sie einladend vor. »Komm, Kleiner!« Der Bock eilte gehorsam herbei, seine Mädels folgten eilig. Freddy packte das Ungeheuer am Halsband und machte sich auf den Rückweg. Er drehte den Kopf. »Wer von euch ist eigentlich Godzilla? Kommst du endlich?«

»Hast du sie noch alle? Ich werde den Teufel tun und mit drei Ziegen auf dem Rücksitz …«

»Nein. Das Tierheim ist doch ganz in der Nähe. Wir laufen schnell rüber und geben die drei Ausreißer ab.«

»Um diese Zeit?«

»Willst du sie etwa mit nach Hause nehmen?«

Karl-Heinz erhob sich ächzend, brummte etwas Unverständliches und humpelte Freddy hinterher, breitbeinig wie ein Cowboy nach acht Stunden auf dem Pferd. Schon nach kurzer Zeit standen sie vor dem hohen Zaun und klingelten.

Die Gegensprechanlage knisterte. »Ja bitte?«

Hunde bellten.

»Polizeiinspektion Pirmasens. Wir bringen drei Übernachtungsgäste.« Freddy lächelte.

Karl-Heinz verzog das Gesicht.

Im Gebäude ging das Licht an, dann die Außenbeleuchtung.

Eine langhaarige Frau schlüpfte in eine Strickjacke und kam ihnen mit nackten Beinen in Gummistiefeln entgegen.

»Holla, die Waldfee.« Freddy pfiff leise.

Abrupt blieb die Frau stehen und lugte durch den Maschendraht. »Karl-Heinz? Bist du das?«

»Hilde!« Seine Hände zitterten.

Freddy schwenkte in einer allumfassenden Geste den Arm. »Darf ich vorstellen? Godzilla in love!«

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