3. Dezember 2024

Bewertungen

Ich habe Kontakt mit einer Professorin, deren Forschungsgebiet das Bewertungssystem in den sozialen Medien der Neuzeit ist. Ihre Erkenntnisse sind erstaunlich, bestätigen aber leider das, was ich als Bauchgefühl habe.

In der Regel liest man ausschließlich Laienbewertungen. Echte Rezensionen von fachlich versierten, ausgebildeten und kompetenten Menschen sucht man auf Amazon & Co. vergeblich. Die Kritik geht selten auf den Inhalt und den Stil ein. Im Vordergrund steht die eigene Befriedigung (Ich hab mich da voll aufgehoben gefühlt) oder Nebensächliches (Der Druck auf Seite 281 ist verschwommen).

Selbst unzweifelhaft literarisch hochstehende Werke (Thomans Mann “der Zauberberg”) bekommen miese Kritiken in Amazon.

Die Bewertungen spiegeln die persönlichen Vorlieben wieder. Literaturkritische Standards bleiben außen vor. Die Bedürfnisse des Massenpublikums werden durch Kaufempfehlungen befriedigt.

Summarum ist es wichtig, dass man seine Hauptfigur dem Leser sympathisch präsentiert. Kann er sich nicht mir ihr identifizieren, beschert ihm das Lesen ein schlechtes Gefühl und der Roman bekommt eine miese Bewertung. Literarische Standards bleiben außen vor. Die Beschäftigung mit kritischen Inhalten unterbleibt. Ein Buch, das sich in das Seelenleben eines Massenmörders einfühlen möchte, hat es ebenso schwer, wie ein Werk, das positive Seelenanteile eines KZ-Aufsehers zulässt.

AR Dr. Andrea Bachmann-Stein M.A., Universität Bayreuth

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Ein Gedanke zu “Bewertungen

  1. Der Zauberberg von Thomas Mann hat bei Amazon 4,7 von 5 Sternen bei knapp 600 Rezensionen.

    Captain Hook aus Moby Dick ist nicht sympathisch. 4,7 Sterne
    Ebenezer Scroodge aus der Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens ist auch nicht sympathisch. 4,7 Sterne

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