19. April 2024

2. Pit

Die Sonne brannte ihm ins Genick, während er wartete. Pit verschränkte gelangweilt die Arme und lehnte sich gegen den Zaun. Erschrocken bemerkte er, wie das Geflecht unter seinem Gewicht nachgab, und richtete sich wieder auf. So schwer war er doch gar nicht!
Eine seiner ersten Aufgaben würde das Einsetzen neuer Zaunpfähle werden, hatte sein neuer Boss angeordnet. Sein Blick glitt noch einmal über die Stelle, wo er sich gerade angelehnt hatte, fuhr den Zaun entlang und quer über das Gelände. Es hatte die Größe eines viertel Fußballfeldes und die Konsistenz eines Schweizer Käses. Der Zaun neigte sich an einigen Stellen verdächtig zur Seite. Flickstellen waren notdürftig mit Draht zugebunden. Gut, dass hier keine Elefanten zuhause waren. Überall Erdlöcher in dem sandigen Boden, in die eine Faust passen würde, und kleine Erhebungen, wohl einst aus dem Material, das beim Graben ausgeworfen worden war. Die Hügel waren von hohem Gras bewachsen, dazwischen standen irgendwelche Sträucher und sogar ein paar kleinere Bäumchen, die ein wenig Schatten spendeten.
Die Viecher, die darin wohnten, waren ihm suspekt. Nichts, was hier heimisch war. Ihm fiel der Name nicht mehr ein. Irgendwas Kleines aus Afrika. Ob die hier froren?
Sein neuer Chef, zumindest für die nächsten sechs Wochen, war ein behäbiger Typ in Latzhosen. Mit einem Eimer in der Hand kam er jetzt um die Ecke, stellte sich ans Gehege, nickte Pit zu und lächelte dabei väterlich. Pit strich verlegen die Haarsträhnen aus dem Gesicht und setzte sich in Bewegung.
Hannes öffnete ein kleines Tor zum Gehege und hielt Pit den Eimer entgegen. Beim Blick auf den Inhalt fuhr Pit zusammen. Mehlwürmer, irgendwelche Käfer und tote Küken. Seine Mundwinkel zogen sich nach unten. Zumindest stank es nicht.
Zögerlich griff er nach dem Henkel und hielt den Eimer von sich weg, als er das Gehege betrat.
Hannes pfiff durchdringend und rief mit lauter Stimme „komm komm komm komm komm komm komm komm komm“.
Aus einem der Löcher schoss ein Kopf hervor und beäugte sie argwöhnisch.
„Die sind misstrauisch, weil sie dich nicht kennen. Wenn sie das Futter sehen, werden sie sich schon trauen. Wieder schrie er „komm komm komm komm komm komm komm komm komm“.
„Wie heißen die nochmal?“
„Erdmännchen, Junge.“
Okay, das war leicht zu behalten.
Das Tier kam aus seinem Bau hervor, huschte mit wenigen Sätzen auf den nächstgelegenen Hügel und richtete sich auf, bis es auf zwei Beinen saß und den Hals reckte.
„Der ist ja niedlich. Ist das nur eins?“

„Nein, das ist eine ganze Gruppe. Einer hat Wachdienst. Wenn der alles okay findet, gibt er Entwarnung. Das ist übrigens eine Sie. Bei den Erdmännchen haben die Weibchen das Sagen. Ihr Name ist Elli. Und du solltest dich vor ihr in Acht nehmen. Ihr Kampfgeist macht jedem Samurai Ehre.“
Pit lachte. „Bei der Körpergröße hält sich die Gefahr wohl in Grenzen.“
Hannes zog die Augenbrauen hoch. „Du wirst es schon lernen, notfalls aus Erfahrung.“
Elli gab ein merkwürdiges knurrendes, keckerndes Geräusch von sich und plötzlich schossen überall Köpfe aus der Erde.
„Wirf ein paar Stücke auf den Boden, um sie anzulocken.“
Angewidert sah Pit in den Eimer.
„Ach so, ja.“ Hannes reichte ihm Handschuhe.
Pit zog sie an, griff mit spitzen Fingern nach dem Fuß eines toten Kükens und warf es einen Meter vor sich auf den Boden.
Elli schoss vor, ein anderes Tier fiel laut fauchend über sie her und biss ihr in den Nacken. Elli schrie auf, sie wälzten sich in einem kurzen Gerangel, dann zog Elli sich ein Stück zurück. Der Angreifer schnappte sich das Küken und zog sich in eine Ecke zurück.
„Das war Cäcilie, die Chefin des Clans und Ellis Schwester. Die beiden haben sich immer wieder mal in der Wolle. Elli ist vorwitzig, aber Cäcilie lässt sich nichts gefallen. Als Chefin des Clans hat sie immerhin Kinder zu ernähren.“
Pit schickte sich an, wieder in den Eimer zu greifen. „Dann gebe ich der armen Elli doch einfach ein weiteres Stück.“
Hannes hielt ihn auf. „Du musst die Rangordnung der Gruppe respektieren. Wenn du da reinfunkst, gibt es Zoff ohne Ende. Die machen das schon unter sich aus.“
Von der Seite näherte sich ein Tier, das noch nicht ganz erwachsen wirkte. Argwöhnisch warf Pit einen Blick auf Cäcilie und dann wieder auf die vorwitzige Kleine.
„Das ist Fliff, Cäcilies Tochter. Sie wird ihr nichts tun.“
Pit ging in die Hocke und wollte in den Eimer greifen.
„Kannst du vergessen. Fliff mag die Küken nicht. Und auch das andere Zeug.“ Er betrachtete die Mehlwürmer und Käfer, die im Eimer umeinander krabbelten, und war mit Fliff einer Meinung. Sie war ihm sofort sympathisch.
Fliff baute sich rotzfrech vor Pit auf und stellte die Vorderpfoten auf seinem Oberschenkel ab. Mit schwarzen Kulleraugen sah sie ihn forschend an.
„Als ob sie dir in die Seele kucken könnte.“

„Herrschaften, schon bei der Arbeit, ja?“
Sowohl Hannes als auch Pit zuckten zusammen. Fliff war in zwei Sekunden verschwunden. Pit schaute ihr enttäuscht nach und drehte sich um.
Da stand ein kleiner Mann stocksteif in Anzug und Krawatte, Schweißtropfen glänzten auf der Stirn. Er streckte die Hand vor. „Ich bin Direktor Doktor Witzkowski.“ Er sah Pit eindringlich an. „Und ich möchte auch genau so genannt werden.“
Pit war klar, wieso er das betonte. Er würde ihn nur noch Doktor Witz nennen, wobei er sicher nicht der erste mit diesem Einfall war. Er unterdrückte ein Zucken seiner Mundwinkel und ergriff die angebotene Hand. Sie fühlte sich kalt an, und sie erwiderte seinen festen Händedruck nicht.
„Man hat Ihnen die Funktion dieser Anlage bereits erklärt?“
Pit zögerte. „Äh, ja. Also so ungefähr. Erdmännchen und so. Sie benutzen sie für die Therapie von durchgek… also kranken Menschen. Wie das gehen soll, kann ich mir nicht so recht vorstellen.“ Wieder fiel ihm Fliffs intensiver Blick ein, der ihm durch Mark und Bein gegangen war. Wenn sie ein Mensch wäre, würde sie die Frau seines Herzens werden. Er grinste über den absurden Gedanken.
„Ja, also, die Therapie. Das werden Sie im Laufe Ihres Praktikums schon noch lernen. Jetzt kümmern Sie sich zuerst einmal mit Hannes um diese …“ Er warf den Erdmännchen einen angewiderten Blick zu. „Ja, also … frohes Schaffen.“

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